Wie funktioniert der Zensus? „Je präziser ich sein will, umso größer muss die Stichprobe sein.“
Steffen Seibel vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden erklärt im Interview die Änderungen der Stichprobenmethodik für den nächsten Zensus und geht dabei auf die Unterschiede zum Zensus 2011 ein. Was wird sich gegenüber dem Zensus 2011 für den Zensus 2022 ändern? Welche Herausforderungen gibt es? Und warum werden jetzt auch die Gemeinden unter 10 000 Einwohnern befragt?
Herr Seibel, wie wurde die Einwohnerzahl 2011 ermittelt?
Die Einwohnerzahlermittlung erfolgte beim vergangenen Zensus wie auch beim kommenden Zensus registergestützt, das heißt wir starten mit den Informationen, die wir aus dem Melderegister haben. Die Melderegister sind aber nicht fehlerfrei: Es gibt sowohl Über- als auch Untererfassungen. Übererfassung bedeutet, dass Personen im Melderegister stehen, die an der angegebenen Anschrift gar nicht mehr wohnen. Untererfassung heißt, dass Personen an einer Anschrift wohnen, im Melderegister aber nicht unter dieser Anschrift eingetragen sind. Beim Zensus 2011 hatten wir zwei unterschiedliche Methoden zur Korrektur dieser Karteileichen und Fehlbestände. In den großen Gemeinden mit 10 000 oder mehr Einwohnern haben wir die Karteileichen und Fehlbestände über eine Stichprobe aufgedeckt und anschließend auf die gesamte Gemeinde hochgerechnet. In den kleinen Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern haben wir gezielt nur die Personen an Anschriften befragt, wo es Unstimmigkeiten zwischen den Melderegistern und der Gebäude- und Wohnungszählung gab.
Warum soll das Verfahren für den Zensus 2022 geändert werden?
Das Verfahren, wie ich es Ihnen eben beschrieben habe, basiert auf Planungsdaten aus dem Zensustest des Jahres 2001. In den Zensusergebnissen von 2011 haben wir jetzt natürlich eine sehr viel bessere Planungsgrundlage. Bei der Evaluierung dieser Daten hat sich gezeigt, dass in den kleinen Gemeinden der Korrekturbedarf höher ausgefallen ist, als er nach dem Zensustest zu erwarten war. Deshalb planen wir für den kommenden Zensus die Korrekturstichprobe in allen, den großen und den kleinen, Gemeinden.
Wie sollen die Stichproben aussehen?
Immer wenn man sich fragt wie eine Stichprobe aussehen soll – und dabei ist die interessanteste Frage, wie groß die Stichprobe sein soll – muss man sich die Frage beantworten: Wie präzise will ich denn mit meinen Ergebnissen sein? Und da gilt ganz pauschal: Je präziser ich sein will, umso größer muss die Stichprobe sein. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es aber im Hinblick auf eine möglichst belastungsarme Erhebung nicht zielführend, für alle Gemeinden das gleiche Präzisionsziel anzustreben.
Was spricht gegen ein einheitliches Präzisionsziel in allen Gemeinden?
Jede Stichprobe ist mit einer zufallsbedingten Unsicherheit behaftet und ein Maß für diese Unsicherheit oder Präzision ist der sogenannte Standardfehler. Im vergangenen Zensus hatten wir für die großen Gemeinden ein Präzisionsziel von 0,5 % einfachem relativen Standardfehler. Wenn wir dieses relative Präzisionsziel 1:1 auch auf die kleinen Gemeinden übertragen würden, dann würde das bedeuten, dass wir für eine Gemeinde mit 1 000 Einwohnern einen (einfachen absoluten) Standardfehler von maximal fünf Personen anstreben würden und für eine Gemeinde mit 100 Einwohnern einen (einfachen absoluten) Standardfehler von maximal 0,5 Personen. Das Beispiel zeigt schon, dass wir auf den Bruchteil eines Einwohners genau sein wollten, was natürlich nicht zielführend ist.
Das Vorgehen würde zudem dazu führen, dass wir in sehr vielen kleinen Gemeinden sehr hohe Befragtenauswahlsätze hätten, wenn nicht sogar eine Vollerhebung.
Wie lautet die Lösung?
Die Lösung besteht darin, die 0,5 % (einfachem relativen) Standardfehler zwar für die großen Gemeinden mit 10 000 oder mehr Einwohnern anzustreben, für die kleineren Gemeinden dieses Präzisionsziel aber gleitend zu lockern, so dass wir bei einer Gemeindegröße von 1 000 Einwohnern nicht wie in meinem Beispiel gerade eben bei einem (einfachen absoluten) Standardfehler von fünf Personen landen, sondern bei einem (einfachen absoluten) Standardfehler von 15 Personen und dass wir diesen Standardfehler von 15 Personen für noch kleinere Gemeinden auch nicht noch weiter absenken würden. Dadurch lässt sich viel Aufwand an Befragung einsparen. Ein gelockertes Präzisionsziel bedeutet auch nicht eine schlechtere Einwohnerzahl, sondern lediglich ein höheres Risiko, dass die ermittelte Einwohnerzahl von der tatsächlichen stärker abweicht. Dieses erhöhte Risiko ist aber immer in beide Richtungen identisch, d. h. das Restrisiko einer um mehr als xy % zu niedrigen Einwohnerzahl geht immer einher mit einem gleich hohen Restrisiko einer um xy % zu hohen Einwohnerzahl.
Wie viele Personen werden voraussichtlich 2022 befragt, wie viele waren es 2011?
2011 hatten wir 9,1 Millionen Befragte. Beim kommenden Zensus, bei dem wir die Korrekturstichprobe in großen und kleinen Gemeinden haben werden, rechnen wir mit 11,4 Millionen Befragten. Das ist eine Zahl, die das Ergebnis von Simulationsrechnungen der Universität Trier unter Leitung von Professor Doktor Münnich ist, der uns auch beim letzten Zensus schon wissenschaftlich begleitet hat. Die Zahl stellt übrigens auch nur eine Obergrenze dar. Im Zensusgesetzgebungsverfahren soll es den Ländern freigestellt sein, für verbandsangehörige Gemeinden das Präzisionsziel nicht auf der Einzelgemeindeebene zu verfolgen, sondern lediglich auf der Verbandsebene insgesamt oder einen aus sehr kleinen Einzelgemeinden bestehenden Rest anzustreben. Dann könnte man nach den Berechnungen bereits mit 9,9 Millionen Befragten auskommen.
Wird dann die Einwohnerzahl nicht in Gemeinden, sondern im Verband ermittelt?
Es ist in der Tat so, dass bei dieser Gemeindeverbandsoption bzw. der Gemeindeverbandsrest-Option die Einwohnerzahl zunächst einmal für den Gemeindeverband insgesamt oder den Gemeindeverbandsrest bestimmt wird. In einem zweiten Schritt muss dann diese Einwohnerzahl auf die einzelne verbandsangehörige Gemeinde unter Nutzung der Stichproben- und der Melderegisterinformation heruntergebrochen werden.
Womit können die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen für 2022 rechnen?
- Die Einwohnerzahlermittlung wird anders als 2011 nach einem einheitlichen Verfahren für alle Gemeinden, nämlich dem Instrument der Korrekturstichprobe erfolgen.
- Durch das allmähliche Absenken des relativen Präzisionsziels für kleinere Gemeinden sorgen wir dafür, dass die Ausgestaltung dieser Korrekturstichprobe möglichst belastungsarm ausfällt.
- Im Ergebnis werden wir präzise Einwohnerzahlen für große und kleine Gemeinden haben und zusätzlich natürlich, wie beim letzten Zensus, auch belastbare Ergebnisse für weitere Zensusmerkmale, die es nicht aus Registern gibt, wie beispielsweise Erwerbstätigkeit und Bildung, für alle großen Gemeinden ab 10 000 Einwohnern sowie flächendeckend für alle Kreise.
- Wir streben eine zügige Ergebnisveröffentlichung 18 Monate nach dem Zensusstichtag an.